Kultureller Aufbruch 1773: Stadtmuseum Kiel widmet sich deutsch-dänischem Wendejahr
Kiel. „Eine glückliche Zukunft wartet auf uns“, schwärmte einst der maßgeblich beteiligte Verhandlungstaktiker Caspar von Saldern, als er am 1. Juni 1773 die Tinte unter dem Vertrag von Zarskoje Selo trocknen gesehen hatte. Verkürzt gefasst: Die russische Zarin Katharina die Große verzichtete darin auf das Herzogtum Schleswig Gottorf; Kiel und Schleswig-Holstein wurden dänisch; der dänische Gesamtstaat war begründet.
Historiker Dr. Johannes Rosenplänter, Institutsleiter von Stadtarchiv und -museum Kiel, warnt zu Recht vor solcher Vereinfachung. Die Geschichte Schleswig-Holsteins gilt als besonders kompliziert. Aber ihn freut, dass es gemeinsam mit dem Landesarchiv gelungen sei, das „einschneidende“ Ereignis in einer Doppelausstellung als „großes Friedensprojekt“ darzustellen und „die sich auftuenden kulturellen Chancen für Schleswig-Holstein und Kiel gerade in der Dänischen Straße zu beleuchten“.
Obwohl es gar nicht so einfach sei, den im Ausstellungstitel beschworenen „kulturellen Aufbruch“ in Kiel schon im ausgehenden 18. Jahrhundert zu fassen zu bekommen, so Stadtmuseumsdirektorin Dr. Sonja Kinzler, habe der Kurator Jens Martin Neumann die zunehmende deutsch-dänische Verflechtung anschaulich gemacht.
In der Epoche der Aufklärung wandert man durch ihn an Darstellungen der aufstrebenden Residenzstadt entlang, wo etwa Gartenkunst mit einer wörtlich zu nehmenden Forstbaumschule aufhorchen lässt. Ein „Volkszählregister“ erstaunt mit Einschätzungen über die finanziellen Verhältnisse der Bürger und weist für Kiel niedliche 6667 Einwohner aus.
Aber so provinziell wie das auf dieser Grundlage scheine, sei das kulturelle Durchstarten unter dänischer Flagge keineswegs gewesen, betont Neumann. Kiel hatte plötzlich nach Kopenhagen die zweitgrößte Universität des Königreichs zu bieten und war mit 200 Studenten und 20 überwiegend jungdynamischen Professoren durchaus vergleichbar mit Tübingen.
Im Universitätsgebäude in der ehemaligen Kattenstraße nahe des Schlosses, das in einer Bleistiftzeichnung zu sehen ist, lehrte etwa der bedeutende Theologe Johann Andreas Kramer. Und es gab einen Universitätsmusikdirektor Johann Georg Christian Apel, dessen Musik an einer Hörstation zu hören ist.
Maler und Architekten hatten nach 1773 plötzlich die Chance, sich auf höchstem Niveau in Kopenhagen und mit einem Stipendium sogar in Rom fortbilden zu lassen.
Kein Wunder also, wenn ein Jens Juel zu den gewichtigen Porträtmalern zu zählen ist oder ein Christian Frederik Hansen zur nordeuropäischen Stilikone des Klassizismus wurde.
Das Gut Knoop nahe Holtenau mit seinem repräsentativen Herrenhaus am innovativen Schleswig-Holstein-Kanal ist dem Kurator auch einen differenzierten Blick wert. Wegen seines bedeutenden dänischen Architekten Axel Bundsen. Aber auch, weil hier der Kolonialismus hineinspielt.
In der von zahlreichen Zusatzangeboten wie Vorträgen flankierten Schau ist ein Gemälde aus dem Hause des Grafen von Baudissin und dessen Ehefrau Caroline, der Tochter des Sklavenhändlers Schimmelmann, zu sehen. Ein livrierter Farbiger lugt zur Tür herein – und zeigt, mit welchem menschlichen „Material“ aus Übersee sich die Oberschicht schmückte.
Kurator Neumann ist deshalb erfreut, dass die in Trinidad and Tobago geborene, in Paris und Hamburg lebende Muthesius-Absolventin Felisha Maria Carenage in drei aktuellen Arbeiten („Sugarworks: Architektur, Salonfähigkeit und das Exotische“) als Deutsche das Hintergrundthema Zwangsmigration aufgreift.
„1773“ im Kieler Stadtmuseum Warleberger Hof, Dänische Straße. Bis 22. Oktober. Di bis So 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei.
Kiel hatte nur 6667 Einwohner, aber die zweitgrößte Universität des Königreichs Dänemark.